verdikt 1.21 , Seite 20 [RECHTSPOLITISCHES] Barbara Nohr Alle drei Tage Über leidende Männer und unartige Frauen. Ein Antrag, eine Anhörung und eine Rezension. . Die BT-Drucksache 19/23999 kommt et- was hilflos daher angesichts des Grauens, das sie zu beschreiben und bekämpfen sucht. Der Antrag der Fraktion DIE LINKE »Femizide in Deutschland untersuchen, benennen und verhindern« zur Beschlussfassung für den Bundestag passt gerade mal auf ein DinA4- Blatt und umfasst sieben Punkte. Es ist aber auch schon so viel geschrieben, berichtet, verkündet, beschlossen, erörtert, angeklagt, beklagt, angeprangert und recherchiert worden – wozu eine Wiederholung von hin- länglich Bekanntem? In Deutschland werden Frauen von ihren Partnern oder ehemaligen Partnern getötet. Im Jahr 2019 wurden 301 Frauen Opfer einer versuchten oder vollen- deten Tötung durch ihren (Ex)-Ehemann oder (Ex-)Partner. In 111 Fällen war der Täter erfolg- reich. Das kann man auf das Jahr hochgerech- net auch anders formulieren, nämlich »Alle drei Tage« – so der Titel des verstörenden Buches von Laura Backes und Margherita Bet- toni.1 Neben theoretischen Erörterungen über die hinter den Taten stehenden Muster, die oftmals verharmlosende Berichterstattung, einem Blick in die Rechtsprechung und in die Praxen anderer Länder enthält das Buch der beiden Journalistinnen fünf Protokolle von Frauen, die einen Femizidversuch überlebt haben. Bei der Anzahl der getöteten (Ex-)Part- nerinnen im Jahr 2019 handelt es sich nicht um eine Ausnahme: im Jahr 2018 waren es 122 Frauen, im Jahr 2017 147. »Bei gefährlicher Körperverletzung in Partner- schaften sind 30 Prozent Männer.« Sylvia Pantel, CDU/CSU . Das sind die Zahlen. Umstritten ist deren gesellschaftliche und kriminologische Ein- ordnung: Beziehungstat? Familientragödie? Eifersuchtsdrama? Sind das alles tragische, 1 Laura Backes/Margherita Bettoni: Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen. München, 2021. bedauernswerte Einzeltaten – ja Schicksals- schläge, von jeweils individuell unterschied- lich, aber auf jeden Fall ungemein verzwei- felten, nicht-mehr-weiter-wissenden und außer-sich-seienden Männern begangen? In den Ausnahmezustand getrieben, vielleicht sogar – ha! – von der eigenen Frau. Oder ent- springen die gewaltsamen Tötungen einem gewaltsamen System, einer allgemeinen Struktur, die die Tötung einer Repräsentantin des einen Geschlechtes durch das andere gewis- sermaßen begünstigt, als legitime Variante erschei- nen lässt? Allein schon die aufgrund des Antrages erfolgte Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 1. März 2021 und die dazu erstellten schriftlichen Stellung- nahmen2 rechtfertigen die Initiative. . Im Antrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE heißt es: »Um einen Femizid handelt es sich, wenn Frauen oder Mädchen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit und vor dem Hintergrund eines hierarchischen Geschlech- terverhältnisses und dem daraus resultieren- den patriarchalen Dominanzstreben getötet werden.« Die Fraktion DIE LINKE wirft der Bundesregierung vor, sich zu weigern, Femi- zide anzuerkennen und fordert sie daher auf, diese zu »untersuchen, benennen und verhin- dern.« Das scheint ein ganz passabler Plan zu sein, wenn auch die Reihen- folge hinkt. Im Einzelnen wird die Bundesregierung in dem Antrag u. a. aufgefordert, Tötungsdelikte an Frau- en und Mädchen, die aufgrund des hierarchischen Geschlechterverhält- nisses begangen werden, als Femizide anzuerkennen, eine unabhängige »Femicide Watch«-Beobachtungsstelle einzurichten, das Lagebild »Partnerschaftsgewalt« der polizeili- chen Kriminalstatistik zu erweitern, das Hilfe- 2 www.bundestag.de/ausschuesse/a13/Anhoerungen. Le- senswert auch das Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung vom 1. März 2021, Protokoll-Nr. 19/84, Deutscher Bundestag, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. »Wenn Femizide nicht als solche benannt werden, ver- schwindet die gesellschaftliche Dimension der Taten.« system bei Gewalt gegen Frauen auszubauen und verpflichtende Fortbildungen für Polizei und Justiz zu etablieren. Im begründenden Vorspann führen die AntragstellerInnen aus, dass auch das deutsche Rechtssystem die strukturelle Dimension verkenne, die hinter der Ermordung von Frauen stehe. Dadurch er- folgten Auslegungen, die auf eine Verharmlo- sung geschlechtsspezifischer Gewalt hindeu- teten. Cornelia Möhring, DIE LINKE . Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am BGH a. D., hält den Antrag für nicht begrün- det, kritisiert die darin aufgestellten »Be- hauptungen« scharf und teilt auch ordentlich aus. Die AntragstellerInnen demonstrierten, so Fischer, eine an Feindbildern orientierte Sichtweise, die mit einer liberalen, rechts- staatlichen Kriminalpolitik nichts zu tun habe. Dasselbe gelte für die von einer Sach- verständigen (welche meint er wohl?) »denun- ziativ« aufgestellte Behauptung, die von der Rechtsprechung des BGH herausgearbeitete Abgrenzung von Tötungsmotiven »niedriger Beweggründe« sei insoweit falsch, opfer- missachtend und frauenfeindlich, als sie zu Unrecht eine Fallgruppe von »Verzweiflungs- taten« enthalte, bei welcher eine Bewertung als »niedrig«, also als »auf tiefster sittlicher Stufe stehend, verachtenswert«, ausscheide. »Ein undifferenziertes Strafbedürfnis (…) und vorurteilsorientierte moralische Empörung«, so Fischer, sei nicht geeignet, Straftaten zu verhindern und trage nichts zum Rechtsfrie- den bei. Letzteres bestreitet wohl in der Sache niemand. Bemerkenswert ist jedoch die mit dem Satz handstreichartig erfolgte Diffamie- rung der AntragstellerInnen, mehrerer (aller?) Sachverständiger und wohl auch von Auto- rinnen wie Backes/Bettoni als hysterische, zeigefingerschwingende Moralapostillen, die